Die Salzgaße    von Ludwig Foltz

Die Salzgaße steigt ziemlich steil vom Rhein aus einem alten Stadtthor, dem Salzthor anfangend, dem Markt zu. Über dem Salzthor hat sich in vielen Stockwerken ein gothischer Thurm erhoben. Die einzelnen Räume im Thurm waren Gefängniße. Landstreicher und Vagabunden sind vorübergehend in denselben festgesetzt gewesen und es war ganz gewöhnlich, daß durch die vergitterten Gefängnißfenster, die gerade über dem Thor sich befanden, ein Strohseil oder ein Bendel aus alten Stücken Leinwand und auch Thuch zusammengeknipselt herabhing, woran ein Strickbeutel, ein Hosensack oder Strumpf befestigt war, zu dem Zweck, daß man ein Almosen hineinstecke für die Gefangenen. Ein Stück Brod oder Geldstücke. Sah man rechts scharf am Thurm empor, und blieb der Blick auf einem Gitterfenster hängen, so wurde man Hände gewahr, welche die Eisenstangen umfingen und dabei ein flehendes, oft recht abgehärmtes Menschengesicht. Dieser Thurm hat in dem Bild der Salzgaße das eine Ende gebildet.

Das andere Ende der Gaße war gebildet durch ein großes Kaufmannshaus auf dem Markt, vor welchem ein Röhrenbrunnen, von rothem Sandstein, mit Löwenköpfen und einer Eisenvergitterung auf dem steinernen Rand des Brunnens, stundt. Um den Brunnen waren stets Mägde versammelt, welche Wasser zu holen hatten. Lustig und malerisch sah dieser Straßenabschluß aus. Der andere Abschluß mit den Gefängnißthüren hatte für den denkenden Beschauer etwas Trauriges.

Die Salzgaße selbst war eine sehr belebte Straße. Fuhrwerke konnten nur mit allen Anstrengungen der Zugthiere, die häufig mit Schimpfen und Peitschenhieben angetrieben wurden, die steile Straße hinaufgebracht warden. Das Herabfahren in der Salzgaße konnte nur mit Radschuen bewerkstelligt warden und war auch oft gefährlich. Nichts konnte in der Salzgaße den gewöhnlichen Weg nehmen. Das Leben darin war immer mit einer besonderen außergewöhnlichen Anstrengung verknüpft.

Im Winter gar, da war es lebensgefährlich. Die Buben haben das Eis, was sich vom Überwasser des Marktbrunnens schnell gebildet, benutzt um mit Schlitten vom Markt aus in einem Schuß zum Salzthor hinauszufahren. Alle Buben der Stadt haben sich in der Salzgaße mit Schlitten eingefunden und ganze Züge Schlittenfahrer sausten die Gaße hinab. Oft gab es da Anstöße und Verwirrung. Da Buben nur so gern den Schlitten herabgefahren, dahinten gelten Beulen wenig geachtet. Hinkend brachte man den Schlitten auf der glatten Straße dem Markt zu, und das lustige Fahren bis gegen das Salzthor wurde wiederholt.

Von der Salzgaße gingen schmale Seitengäßchen ab, die mancherley bothen. Eins dieser Seitengäßchen führte an einem Rad- oder Ziehbrunnen vorbei und war von Mägden und Wasserholenden viel benutzt. Das andere Gäßchen ging an vielen Winkeln von Hintergebäuden und Öconomiehöfen vorbei in die Judengaße und war infolge dessen meist von Juden und Mistfuhren belebt. Beim Stadtthor gingen rechts und links kleine Gäßchen ab, welche auf einer Seite die Stadtmauer, auf der anderen Seite Häuser armer Leute hatten.

Glaube jetzt genug über die Gestaltung der Salzgaße und ihrer Abzweigungen gesagt zu haben und will jetzt von einzelnen Häusern und charakteristischen Merkmalen ihrer Bewohner erzählen...

Textauszug aus „Die Salzgaß und ihre Bewohner in Bingen“ von Ludwig Foltz, München, den 10. Januar 1867. In originaler Fassung belassen.
Quelle: Stadtarchiv Bingen


Historische Bilder bis ca. 1912


Bilder der Salzstraße ab ca. 1950


Bilder der Salzstraße 2018


Studie der Stadt

Fassadenabwicklung Gestaltungsvorschlag – Westseite, gerade Hausnummern –



Fassadenabwicklung Gestaltungsvorschlag – Ostseite, ungerade Hausnummern –



Video der Salzstraße